Der Bataillonskater.

Manöver-Humoreske von R. v. Rawitz
in: „Stralsundische Zeitung, Sonntagsbeilage” vom 06.09.1908


„Und nun noch eins, meine Herren,” hatte Major von Kriblinski am Tage vor dem Ausmarsch des Jäger-Bataillons in das Manöver gesagt, „ich verbitte mir die riesigen Koffer, in denen man ein Piano, ein halbes Büfett und zwei Dutzend Tafelaufsätze unterbringen könnte, und ich verbitte mir noch viel mehr die Mitnahme von Kanarienvögeln, Laubfröschen oder Fixkötern. Ein preußischer Soldat kommt mit Zahnbürste, Felddienstordnung und einer Kiste Zigarren aus; das Getier aber gehört in den Zapperlotischen Garten. Bitte sich danach zu richten.”

„So etwa hatte die Ansprache des Majors gelautet, der gern in Superlativen sprach. Leute, denen ein Knopf offen stand, nannte er halbnackt, von Schüssen, die nicht genau im Mittelpunkt der Kopfscheibe saßen, behauptete er, sie seien mit der Richtung auf Neu-Guinea abgegeben, und hinsichtlich der Pünktlichkeit zum Dienst pflegte er zu äußern: „Ein tüchtiger Jäger ist nicht nur zehn Minuten vor der befohlenen Zeit auf dem Platz, sondern eine Ewigkeit vorher, und wer unter dem alten Fritzen anzutreten hat, der muß schon unter Albrecht dem Bären aus der Falle kriechen und spätestens unter dem Großen Kurfürsten das Koppelschloß zuhaken.”

Diese Eigentümlichkeit des braven Kriblinski war bekannt und wurde genügend beachtet. Daher blieben denn wirklich alle überflüssigen Gepäckstücke, sowie die Herren Offiziershunde daheim in der Garnison, zum großen Schmerz für manchen Leutnant und für manchen „Karo”, „Phylax” oder „Männe”.

Wunderschön und höchst ehrenvoll verliefen die ersten Manövertage für das Jäger-Bataillon Nr. 27. Alle hohen Vorgesetzten waren bei jeder Gelegenheit Lobes voll, und Major v. Kriblinski strahlte vor eitel Freud' und Wonne. Doch mit des Geschickes Mächten ist kein ewiger Bund zu flechten und das Unglück schreitet schnell. Und das kam so:

Eines sonnigen Morgens, als das Bataillon mit fröhlichem Gesang durch das Gelände zog, inspizierte Hauptmann Lilienhoff, der Chef der ersten Kompagnie, Mannschaften und Bagage, die am Schluß der Marschkolonne angehängt war. Welch' ein Schrecken überfiel ihn, als er auf dem Bagagewagen seiner Kompagnie, wohlgeborgen hinter Kästen, Kisten und Säcken, einen grauen Kater gewahrte, der es sich in der glühenden Sonne wohl sein ließ und behaglich die Pfoten leckte-

„Das Tier wird mir im nächsten Dorfe abgesetzt,” befahl er; „wir brauchen keine Mäusefönger. Wer hat die Katze auf den Wagen gebracht.”

Niemand wollte etwas wissen, ja, niemand sie überhaupt bisher bemerkt haben. Als die Kompagnie die nächste Ortschaft passierte, hob ein Oberjäger das Tier vom Wagen, setzte es vor ein Gehöft, und dann ging es weiter.

Am Abend dieses Tages lag die Truppe im Dorf Grünwiese, wo Major v. Kriblinski in eigener Person eine Hauptbesichtigung seiner Kompagnie-, Pack- und Lebensmittelwagen vornahm. Das Erste, was er wahrnahm, war der graue Repräsentant des Katzengeschlechts. Diesmal saß er unter dem Wagen der ersten Kompagnie, sprang aber, durch die Erfahrung gewitzigt, in das Innere des langen Gefährtes, als er das Herannahen vo0n Menschen gewahrte.

Major v. Kriblinski war starr: „Heiliger Hubertus,” schrie er, „Schutzpatron aller Jäger und Schützen, steh' mir bei! Sehen meine Augen recht? Ein Katzenvieh auf einem Königlich preußischen Militär-Dienst-Fuhrwerk? Hauptmann Lilienhoff, wie erkläre ich mir diesen Verstoß gegen alles, was seit der Eroberung der Slawenfeste Brennabor in der Armee, insbesondere aber im Jägerbataillon 27. (ersten Niederdeutschen), und ganz insbesondere bei der ersten Kompagnie Sitte, Brauch, Uebung und Anstand ist?”

Der Kompagniechef meldete, das Tier sei bereits einmal entfernt worden, hänge aber mit der bekannten Zähigkeit des Katzengeschlechts an dem Ort, den es sich nun einmal — und unbegreiflicherweise — erkoren. Es müsse der Kompagnie nachgelaufen sein.

„Das Vieh wird sofort verscheucht,” befahl der Major, „nötigenfalls der hiesigen Gemeinde zur Aufbewahrung überwiesen! Mein Bataillon ist kein Tummelplatz für wilde Tiere aus dem Affen-, Katzen. und Hundegeschlecht. Hauptmann Lilienhoff, ich bin sehr unzufrieden.”

Wenige Tage darauf fand ein heftiges Gefecht zwischen der Nord- und Südpartei der Division statt und hieran schloß sich eine Parade sämtlicher Truppen vor dem kommandierenden General. Das Jägerbataillon sollte in Kompagniefronten defilieren und trat soeben unter den Klängen des Pariser Einzugsmarsches in schnurgeraden Linien an, als Leutnant Graf Hochkirch, der den mittelsten Zug der ersten Kompagnie führte, halblaut seinen vor ihm marschierenden Kompagniechef anrief:

„Ach Jott, Herr Hauptmann, sehen Sie bloß! Vorn — hinter dem Major! — Kerls beißt euch auf die Lippen, daß mir keener rausplatzt! Richtung, Richtung! Herrjott, hab' ich so was erlebt! Das Vieh ist da!”

Und wahrhaftig, so war es. Zwei Schritte hinter dem Gaul des Majors, beinahe so wie ein Adjutant, schritt der graue Kater. Zu Ehren des feierlichen Moments hatte er den Schwanz kerzengerade in die Höhe gehoben.

Graf Hochkirch hatte gut reden: die Jäger lachten, der kommandierende General lachte, die ganze Suite lachte, und als die links herausgeschwenkte Musik der Jäger den Kater sah, da kam sie aus dem Takt und blies falsche Noten. Nur Major v. Kriblinski lachte nicht, denn er sah sich natürlich nicht um und begriff überhaupt nicht, worüber das ganze Armeekorps in Heiterkeit geraten war.

Später, als er die Ursache der Heiterkeit erfuhr, geriet er in fürchterliche Wut und schwur einen teuren Eid, wer ihm den Kater einfinge oder tot brächte, solle zehn Taler haben.

„Zehn Dhaler oder zwanzig! so ein erbärmliches, gemeines Viech! Welche niederträchtige Gesinnung, hinter ein' herzumarschieren und noch dabei mit präsentiertem Zoogel! Da sage noch einer, die Tiere hätten keinen Verstand! Das malitiöse Biest wußte ganz genau, daß es Parademarsch war, und ich bin überzeugt, es hat die Augen rechts genommen und ist mit der linken Vorderpfote angetreten!”

Die ausgesetzte Belohnung wurde nicht verdient, Mietz riß aus, sobald jemand in seine Nähe kam. Und das traditionelle Glück des Bataillons war auch dahin. Bald klappte dieses, bald jenes nicht. Der Major wurde nervös, gab Befehle, Gegenbefehle, und Unordnung war die Folge. Abergläubische Gemüter sprachen von „Verrufen sein” und der diabolischen Natur des Katers. Selbst die hohen Vorgesetzten sagten, das Bataillon 27 werde von seltsamem Pech verfolgt, seitdem ihm die Katze vor die Front gelaufen. Aber das Sprüchwort sollte zu schanden werden.

Acht Tage später lag das Jägerbataillon am Rande eines Waldes auf Vorposten. Die Position war eine sehr wichtige, denn es galt die Sicherheit des ganzen Armeekorps zu gewährleisten. Auf einen schönen Tag war eine klare, helle Mondnacht gefolgt. Noch in vorgerückter Stunde war Major von Kriblinski die eigentliche Vorpostenlinie entlang geritten, und dann hatte er sich weiter rückwärts beim Vorpostengros ein wenig niedergelegt. Rings um ihn lagen die Jäger, heute ohne Biwakfeuer, denn man war zu nahe am Feinde. Kriblinski wollte soeben ein wenig einnicken, als ein klagender, flötenartiger Laut ihn jäh wieder erweckte. Das Liebeslied eines Katers, der den Mond anbetete.

„Kanaille,” donnerte der Major, „bist du wieder da? Auf, Jäger, packt den Racker, er sitzt auf dem Patronenwagen!”

Die Mannschaften fuhren auf, sprangen hinzu, aber der vierbeinige Gesell war flinker; im Nu kletterte er an einer nahen Eiche empor und verschwand im Laubwerk der Krone. Einer der Oberjäger, ein schlanker junger Mensch, stieg ihm nach; der helle Vollmond begünstigte das Unternehmen.

Eine kleine Weile verging, dann kam von oben eine Stimme hernieder: „Herr Major, Herr Major!”

„Was gibt's, Oberjäger? Haben Sie das Viech erwischt?”

„Nein, Herr Major, der sitzt noch viel höher, wo ich nicht hinkann. Aber etwas anderes: In nördlicher Richtung scheinen auf der Chaussee große Truppenmassen anzurücken. Ich kann von hier oben ganz deutlich Waffen blitzen sehen.”

„Das ist der Feind!” rief Kriblinski, „An die Gewehre!! Und sofort Meldung an die Division! Hurra! Diesmal ist der Kater doch zu etwas nütze gewesen!”

Es war, wie der Jäger gesehen: ein überraschender Nachtangriff war entdeckt worden und konnte kräftig abgewehrt werden. Major v. Kriblinski erntete ein ganz besoderes Lob des kommandierenden Generals für seine Umsicht; das alte Jägerglück war wieder da! Seit dieser Stunde wandelten sich die Gefühle des Majors für das Katerviech; das Tier erhielt einen Dienstplatz auf dem Proviantwagen und später lebenslängliche Pension im Garnisonmagazin, wo es sich im Mäusefang brav betätigte. Ins Manöver aber nahmen die Jäger ihn nicht mehr mit.

„Es geht nicht,” sagte Kriblinski, „Er ist nicht genügend ausgebildet. Er hat starkes Talent für den Felddienst, aber beim Parademarsch darf er nicht mehr mittun. Darum Bataillonsbefehl und Notiz an das Kasino: „Das Bataillon steht morgen früh 6 Uhr zum Abmarsch bereit. Heute großes Liebesmahl im Kasino als Abschiedsfeier. Jeder Offizier darf morgen seinen  P r i v a t k a t e r  mitbringen, aber der veritable  B a t a i l l o n s k a t e r  bleibt zu Hause!
     gez. v. Kriblinski, Major und Bataillonskommandeur.”

— — —